Schatten-Zeit


Kato lief durch die unterschiedlichsten Gassen und befindet sich dann auf dem Hauptweg. Er schlich zu einer Dame und fragte, ob hier eine merkwürdige Gestalt entlang lief. Sie bestätigte es mit besorgtem Blick und deutete in die Richtung, in die sie gegangen war.

Ich bin ja schon zu weit.

Dann eilte er zurück zu den Gassen, vorbei an den kleinen Jungen und sieht sie endlich. Vor dem Meer stand sie. Anmutig wie sie ist und bewunderte das Wasser.

„Wie damals“, dachte er sich und geht auf sie zu.

 

„Kato. Was bin ich?“, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Sie hatte Tränen im Gesicht. „Ich wusste, dass es eines Tages kommen wird …“, begann er so ruhig und sanft wie noch nie. Er stellte sich neben sie. Beide bewunderten das Schöne des Meeres und den Sonnenuntergang.

Ein Kreischen unterbrach den Moment und eine Armee Mongúls stellte sich hinter ihnen auf. In der Mitte standen zwei Menschen. Beide traten vor und einer ergriff das Wort: „Bitte legt eure Waffen nieder, wir sind reichlich in der Überzahl. Auf ein Blutbad wollen wir doch verzichten, nicht wahr?“

Lysia schaute immer noch über die Weite des Meeres und ignorierte das Geschehen hinter ihr. Kato hingegen wurde nervös.

„Nun bitte ich euch kehrt zu machen, ansonsten werdet ihr alle sterben“, er blickte kurz zu Ly, „mit ihr ist nicht mehr zu spaßen, seit sie ihre Fähigkeiten erhalten hat.“ Jetzt blickte Lysia ihn ganz verwirrt und entsetzt an, dann flüsterte sie: „Welche Fähigkeiten?“

„Du bist volljährig“, sagte Kato nickend. 

 

Sie wandte sich von ihm ab und schaute wieder zum Meer.

Die Menschen und Mongúls lachten. Dann ergriff der andere Mann verspottend das Wort: „Ihr seid doch nur zu zweit, wie wollt ihr uns aufhalten?“

Die Sonne war weg und es ist dunkel geworden.

Kato schaute angespannt um sich und entfernte sich mehrere Meter von Lysia.

Ihre Tränen sind versiegt, an dessen Stelle machte sich eine unbändige Wut breit.

„KATO!“, ertönte es aus ihrem Mund, „wann sagst du mir endlich, was ich wissen will?“

Alle Anwesenden zuckten unter ihrer tiefen boshaften Stimme zusammen.

Auch die Mongúls wurden nervös. Man erkannte es an ihren unruhigen Bewegungen. Ein Gesicht hatten sie nicht. Das, was dort sein sollte, konnte man nicht erkennen, da ihre schwarzen Mäntel mit den langen Kapuzen alles verdeckten, selbst ihre Haut. Größer als die Menschen waren sie und mit dem Schwert wussten sie auch umzugehen. Die zwei Männer traten ein paar Schritte zurück und schauten Lysia eindringlich an.

„Waffen hoch!“, schrie ein Dritter, der gerade vorgetreten ist.

Kato flüsterte bettelnd zu Ly: „Bitte nicht.“

„Warum nicht, Kato? Du hast doch selbst erst letzte Nacht, unzählige von ihnen getötet. Warum also nicht?“, widersprach Ly ihm provokant, während sie auf die Armee zugeht. Ihm blieb nichts anderes übrig; er lief zu ihr, Tränen in den Augen, packte sie am Arm und unterdrückte die Kälte und die Schmerzen, die er dadurch erhielt. Nur wenige Sekunden, dann schrie er auf und ließ sie los.

Zitternd schaute er ihr in die pechschwarzen Augen. Auch sie blickte ihn aufgelöst über seine Tat und das Ergebnis an. „Du hast keine Vorstellung über deine Macht, Ly“, er schluchzte, „bitte komm, lass sie und wir werden reden.“

Lysia rankte mit sich selbst. Erfüllt mit neuer Energie in dieser Dunkelheit und der Neugierde über seine Worte von ihren Fähigkeiten.

Sie wandte ihren Blick von Kato ab, der erschöpft zu Boden ging.

Er schaute auf seine Hand, die schwarze Spuren aufwiesen und blickte dann zu Ly, seiner treuen Freundin, bis ihm schwarz vor Augen wurde.

 

Die ganze Armee schaute kurz zu Kato und machte dann erstmal einen Satz nach hinten. Dann stürmten einzelne Mongúls nach vorne und versuchten sie zu attackieren. Kaum ein Meter vor ihr verfärbten sich die Klingen pechschwarz und glitten durch sie hindurch. Lysia lachte höhnisch.

Plötzlich sah sie sich und Kato vor etlichen Jahren beim Sonnenuntergang wieder, sie drehte sich um und sah ihn am Boden, im Sterben liegen.

Sie fing an zu weinen und fiel auf die Knie. Die Mongúls gaben es auf, mit ihren Schwertern und versuchten es mit Pfeil und Bogen.

Ly stand auf, zittrig, fasste einer ihrer Tränen und schleuderte es zu einem Mongúl, der in dem Moment als die Träne ihn traf, zu schwarzem Eis erstarrte und zerfiel.

Sie wütete. 

Wolken zogen auf. Der Himmel wurde pechschwarz und der Wind blies mit ihrer Stimme im Einklang zur Armee:

„Könnt ihr mich nicht endlich in Ruhe lassen? Verschwindet!“

Der Sturm machte es den Gegnern unmöglich ihre Pfeile abzuschießen und gefolgt von diesem Sturm entstanden kleine Tornados, die auch so schwarz wie Lysias Augen waren. Sie verschlangen alles und jeden, der ihnen zu nah kam.

Einer der Menschen, der, der zuerst das Wort ergriff, wurde von diesen verschlungen. Zurück blieb sein immer leiser werdendes Schreien.

„Kar faz do lum“, schrie sie, während sie weinte und Schritt für Schritt auf die angsterfüllten Gegner zuging. Alles hinter ihr war in ein tiefes, endloses Schwarz gehüllt. Nicht einmal einen Stern konnte man erkennen. Sie streckte die Arme aus und mit jedem Schritt zog sie noch mehr von ihrer geliebten Stadt in die totale Finsternis.

 

Sie löschte ein Leben nach dem anderen aus, färbte jedes Licht in pure Dunkelheit und Furcht. Einige Menschen rannten aus ihren Häusern. Ganz weit weg von ihr und dem Unheil. Selbst die Finsternis schien sich durch alles zu fressen. Kein Körnchen, nicht einmal in der Luft blieb etwas Farbe.

Lysia hörte manchmal qualvolle Schreie, sie ist jedoch viel zu erfüllt mit ihrer Macht, Traurigkeit und Wut, als dass sie für die Gefallenen Mitleid empfinden konnte. 

Sie marschierte immer weiter und wuchs mit der Dunkelheit.

Unerwartet stand der kleine Junge mit Tränen in den Augen vor ihr. Sie sah ihn, beziehungsweise eine Person, die sie kannte vor sich. Aber das ließ sie nicht stoppen. Somit rannte auch der Junge fort. Mongúle, Menschen, die Mischungen und sämtliche andere Gestalten, Kleine, Große, Vierbeiner drängelten durch die Straßen und Gassen. Alle wollten so weit weg wie nur möglich und somit war der Palast ihr Ziel. 

 

Sie versuchten es mit Licht und fingen an, jede Lichtquelle aufzutreiben, um alles gleichzeitig auf Lysia einzuwirken. Als sie mehrere auftreiben konnten, bauten sie es entlang der Mauer auf dem Palast auf und richteten es gezielt auf Ly.

Auch sie bemerkte es und ließ die Finsternis vortreten, als sie die Hälfte der Stadt eingenommen hatte, schalteten sie das Licht an.

Die Dunkelheit zögerte, aber verschlang selbst das grelle Licht bis zur Quelle. 

Immer weiter kämpfte sich das Dunkle und brachte Furcht zu dem Volk.

Klagen, Schluchzen, aber auch Wut erreichte Lysia vom Palast aus.

Sie blieb abrupt stehen, blinzelte und versuchte die Situation zu verstehen.

Dann hört sie ein Summen und leisen Gesang:

„Laa fa siee re noó

daaa lum kaa daá moo

miii la see un kaa

en kaa bo noo“

 

Das Chaos und die lichtlose Welt breitete sich weiterhin ohne sie aus.

Lysia brach zusammen.

 

„Lysia! Lysia! Wach auf. Steh auf …“, hörte sie eine Stimme, die mit dem Meeresrauschen im Einklang schwebte. 

Langsam öffnete sie die Augen, sie erkannte keinen Unterschied.

Totale Finsternis. Sie sah nicht einmal ihre Hand, wenn sie sie vor Augen hielt.

„Wo …?“, versuchte sie zu sprechen. 

Etwas zerrte an ihrem Arm und hievte sie hoch. „Komm! Komm mit“, hörte sie die Stimme. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie erkannte wieder alles um sich. Ihre ganze Stadt war komplett eingehüllt in einem Mantel aus Finsternis und Verdammnis. Sie folgte der Person.

Nach ein paar Metern fühlte sie die Brise des Meeres im Gesicht und kurz darauf hatte sie das Tor ihrer Heimat passiert.

„Del na kruz of Lig – ge Ly“, murmelte die andere Person vor sich hin und plötzlich befanden sich die Zwei in einer leicht beleuchteten Hütte. Die Finsternis hauste hier nicht. Nach einem Augenblick realisierte sie die Umgebung und identifizierte die Person vor ihr als ihre Tante. Sie stürmte auf sie zu und fiel ihr um den Hals, tränenaufgelöst schluchzte sie: „Oh, was hab ich getan? Es tut mir so leid.“ Die alte Frau schob sie etwas von sich, ihr Gesicht war verzerrt, vor Trauer und Enttäuschung. Ly hielt kurz inne, dann schaute sie sich fragend um: „Warum seid ihr noch am Leben? Jeder wurde von der Finsternis verschluckt!“

„Ich bin nicht Jeder“, beginnt die Frau mit einer jüngeren Stimme.

 

Lysia setzte sich auf dem Boden und wartete geduldig.

„Ich glaube, ihr schuldet mir eine Erklärung.“

Nickend setzte sich die Frau ihr gegenüber und begann zu erzählen:

„Lysia, du bist eines Tages in unserem Land erschienen. So klein wie du warst und so anders. Wir scheuten uns nicht vor Fremdes, noch nie. Aber wir wussten, dass du einzigartig bist. Ly, du bist etwas Finsteres, zumindest dein Optisches. 

Wir haben uns bemüht dich so gut es ging groß zu ziehen, dein Geist ist reiner als unsere Quelle. Dennoch wussten wir, dass du zu großem Schaden fähig bist.“

„Warum habt ihr es mir nie gesagt? Ich hätte es verstanden …“, unterbrach sie die Erzählung. Die Frau winkte ab und brachte sie zum Schweigen: „Wie hätten wir es dir sagen können? Wir wussten selber nicht, wozu du fähig bist und wollten dich auch nicht verängstigen. Jetzt ist es zu spät, Ankratos ist gefallen.“

Lysia schaute entsetzt zu Boden, fragte dann aber leise: „Und wie kommt es, dass ihr noch am Leben seid?“

„Mein Licht lodert zu hell, als dass deine Finsternis es vernichten könnte, mein Kind. Und nun bist du zu schwach, um noch etwas ausrichten zu können“, entgegnete sie ihr.

Ly stand auf und blickte in die Dunkelheit vor der Hütte.

„Gibt es keine Möglichkeit, Ankratos wieder aufleben zu lassen? Und was wird aus mir?“

Sie dreht sich um und schaute zu der Person, der sie immer vertraut hatte.

Doch die Frau schaute traurig und entsetzt zu Boden, nach einer Weile fand sie die richtigen Worte: „Leider wird die Stadt über Jahrhunderte so verweilen, es gibt keine Möglichkeit es zu ändern. Die Finsternis hat sich bereits zu sehr in alles Leben, in jede Farbe eingefressen und meine Zeit ist auch bald vorbei“, sie zögerte, „meine Kräfte reichten nur noch für diesen Raum.“

„Kato ist …?“, fragte Ly mit zitternder Stimme. „Ja, es tut mir leid“, entgegnete die Zauberin genauso bedauernd, „… Er war ein guter Junge.“

Lysia nickte: „Ich mochte ihn.“

Sie schaut auf dem Boden und murmelte etwas vor sich hin. 

„Aber was bin ich den, wenn ich so viel Unheil in die Welt bringe? Warum bin ich hier?“, wendete sie sich an ihre Tante.

„Es tut mir furchtbar leid, Ly. Doch du kannst nicht mehr hier bleiben!“, hörte sie die Frau sagen. Noch ehe sie es realisieren konnte, standen zwei Männer hinter ihr, packen sie an den Armen und zerren sie direkt vor die Zauberin.

Diese öffnete die Hände, flüsterte irgendwelche Wörter und klatschte ihre Hände zusammen, die auf Lysia gerichtet sind. Entsetzen und Enttäuschung spiegelten sich in ihren Augen und im nächsten Moment war sie verschwunden.

Die Männer verließen den Raum und die Frau brach trauernd zusammen.

Langsam kroch die Finsternis in den Raum und verschlang die schwache Dame, zurückblieb einzig und allein ihr silberner Ring.

 

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„Was ist da?“, fragt ein junges Mädchen ihre zwei Freunde und schlägt mit dem Stock auf die Erde, bis sie den dumpfen Schlag wieder hört.

Die Sonne steht weit über dem Himmel und die Kinder haben sich wieder bei den Ausgrabungen getroffen, um dort zu spielen.

Wieder schlägt sie dagegen. Erst jetzt erreicht sie die Aufmerksamkeit der Jungen, die sich neugierig dorthin begeben und anfangen, die Erde wegzuschieben.

„Es scheint etwas Größeres zu sein!“, sagt einer der Jungen.

Emma, das Mädchen meint: „Joe, ruf doch deinen Vater an, dann kann er es mit dem Bagger ausbuddeln.“

Joe schüttelt heftig den Kopf, geht ein paar Schritte und hebt die Schaufel auf. „Wir wollen doch was entdecken, gönn uns doch mal den Spaß“, entgegnet er ihr lachend. Nun graben sie zu dritt. Mit der Zeit stoßen sie auf eine Kante.

„Holz! Eine Schatztruhe vielleicht!“, schreit der andere Junge.

Nach einer halben Stunde gönnen sich die drei eine Pause. Nur ein Viertel der Truhe konnten sie ausgraben. Joe meint, dass sie sich noch mindestens 1,5 m in die Länge streckt. „Ruf doch endlich deinen Vater, wir werden ja nie fertig und dunkel ist es auch bald“, mischt sich Emma vorwurfsvoll ein.

„Nein!“, trällern die beiden im Chor. Joe packt die Schaufel und hievt immer mehr Erde weg. Langsam wird immer mehr der Truhe sichtbar.

Emma hält den Atem an und die beiden Jungen springen zurück.

Ihre Stimme zittert, als sie feststellt, dass sich vor ihnen ein Sarg befindet.

Ein überaus schöner und alter Sarg aus Holz. Weiße Fasern sind im Holz zu erkennen und goldene Muster lassen es majestätisch wirken.

Der andere Junge packt den Griff an der Seite und zieht. Nichts passiert.

Er schaut um Hilfe betend zu Joe und Emma, die dann, nach Zögern zu ihm eilen.

Gemeinsam ziehen sie und endlich gleitet der Sarg aus der Hülle Erde und fällt vor ihnen zu Boden. Es kracht, doch nichts scheint kaputtgegangen zu sein.

Neugierig und zögernd schauen sie drauf.

Mark und Joe stehen seitlich, während Emma zu den Füßen des Sarges Platz findet und darauf wartet, dass einer der Jungen den Mut findet den Sarg zu öffnen.

Nachdem unzählige stille Minuten vergangen waren, sucht Joe nach einer Möglichkeit das Gefundene zu öffnen. Er wird schnell fündig und entriegelt den Sarg, dann hieven die beiden Jungen den Deckel hoch.

Noch bevor einer der Jungen erblicken konnte, was sich darin befand, war Emma in ihre pechschwarzen Augen versunken und erblickt das ganze Leid, das ihr Körper widerspiegelt. Alles was geschehen ist und was sie verkörpert.

Sie keucht vor den überrennenden Informationen und Gefühlen.

Und weiß nun mehr als sie sich je hätte vorstellen können.

Ihre Augen färben sich schwarz, ebenso ihr Körper.

Die Jungen schreien entsetzt auf und rennen davon.

Emma jedoch, fällt auf die Knie und saugt jede Schande aller Lebewesen in ihrer Welt auf. Dunkle Nebel umhüllen sie. Als sie ihre Augen öffnet war Lysia weg. 

Und jeglicher Schatten mit ihr.


Vielen Dank verlag-der-schatten an die Ausschreibung Feb. 2015,  wodurch diese Geschichte entstand.

Nun wurde sie angepasst (Rechtschreibung, Grammatik und sprachlich) und findet Platz auf meiner Website.

- 18.04.2023 überarbeitet

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