Ein tierischer Freund


„Na, was machst du hier?“, frage ich und blicke auf das kleine süße Tier. Doch was dann geschieht, hätte ich niemals für möglich gehalten. Nachdem ich mich hingekniet habe, um das kleine Kätzchen zu streicheln, lässt es sich komplett in meine Hand fallen, so, als würde es mir komplett vertrauen. Wie von selbst verlassen die Worte meinen Mund: „Willst Du mein Lebensbegleiter sein?“ Der getigerte Kater räkelt sich aus meiner Hand, steigt mit den Vorderpfoten auf mein Knie und sieht mir zum allerersten Mal tief in meine Augen. Ein Blitz durchfährt meinen ganzen Körper, dicht gefolgt von einem Schauer, der jeden einzelnen Winkel erreicht und plötzlich alles ganz still werden lässt. Die Hintergrundgeräusche sind mit einem Schlag verstummt, ebenso meine Gedanken. Jetzt sind da nur die grau-weiße Katze mit dem durchdringenden Blick und ich. 

  

„Ja, ich will“, hallt unerwartet eine Stimme durch meinen Kopf. Sie ist kräftig und hat einen einzigartigen Klang, den ich nicht beschreiben kann. Unter anderen Umständen hätte ich gezuckt und mich umgesehen oder es als Einbildung abgetan, aber hier und jetzt, ist mir vollkommen klar, dass es von der Katze kommt. „Wie heißt du?“, versuche ich es auch gedanklich und bin innerlich so aufgeregt wie ein kleines Kind.  

Der Kater hüpft hoch und schmiegt sich an mich. Durch den fehlenden Blickkontakt verschwindet dieser komische Raum der Isolation und die Geräusche kehren langsam wieder zurück. „Wie heißt Du?“, frage ich laut und kurz darauf höre ich den Namen in meinem Kopf: „Ray.“  

„Wer bist du?“, muss ich unweigerlich fragen. Ich konnte Ray eine Weile beobachten und stellte schnell fest, dass er äußerst intelligent ist. „Komische Frage. Ihr betitelt mich als Katze.“ Ich muss schmunzeln, „freut mich, dass wir jetzt ein Team sind.“ 

  

Ray schmiegt sich an mich und ich fahre durch sein Fell. Es ist so weich und er ist noch so furchtbar klein. „Kannst du mir von deinem Leben erzählen?“, frage ich weiter, dann räuspere ich mich: „Pardon, ich heiße Elia.“ 

„Später“, flüstert der Kleine, dreht eine Runde auf meinem Schoß, lässt sich fallen und murmelt sich ein. Die nächste Welle der Gänsehaut durchfährt meinen Körper.  

Wie niedlich kann ein Tier denn bitte sein? 

Ich trage Ray in meine Wohnung und setze mich auf die Couch, dabei streichle ich ihn immer wieder und irgendwann fängt er an zu schnurren, was mir sofort ein Grinsen entlockt. Meine Gedanken kreisen und ich überlege, was ich jetzt alles brauche. Zum Glück habe ich schon einige Dinge für eine Katze, da bereits vor einem Jahr eine bei mir wohnte. 

Leider ist diese verstorben und bis dahin hatte mir die Motivation gefehlt, eine Neue zu suchen. Umso interessanter ist dieser Wink vom Schicksal. „Futter muss ich kaufen“, flüstere ich. Ich blicke auf die Uhr und bin überrascht: 19:29 Uhr. 

Wo ist denn die Zeit hingeflossen? Dann sehe ich Ray an, der so süß liegt und schläft und bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn jetzt aufwecke. „Ich bin wach“, raunt es verschlafen in meinem Kopf. „Ich muss einkaufen“, entgegne ich direkt. Aus Überraschung halte ich meinen Mund zu.  

Die Definition, mit Tieren zu reden, hat gerade eine ganz neue Bedeutung für mich erhalten. 

„Dann lass uns gehen“, flüstert Ray und streckt sich langsam. „Du kommst mit?“, blicke ich skeptisch zu ihm runter, er erwidert den Blick aber nicht. Er hüpft auf und sieht wieder fit aus: „Natürlich!“ Dieses Mal ist die Stimme wieder so kräftig wie beim allerersten Mal. Unsicher kratze ich mir an meine Wange und sehe ihn skeptisch an. „Ich muss aber mit dem Auto fahren und bin mir nicht sicher, ob … “ 

Rays Blick streift kurz den meinen und ich halte die Luft an, dann fängt er an sich zu putzen. „Ich komme mit“, hallt es durch meinen Kopf. Gepaart mit seiner Beschäftigung, wirkt es beinahe beiläufig, hat aber eine Intensität, die keine Widerworte duldet. „Gerne!“, sage ich und freue mich auf dieses Abenteuer. Gleichzeitig überlege ich, wie ich das anstelle, dann fällt mir ein, dass ich einen Pulli habe, welcher eine große Bauchtasche hat. Ich krame es aus dem Schrank und zeige es Ray, „willst Du Dich da einmummeln? Dann kannst Du weiterschlafen.“ Ray blickt meinen Pulli an, dann steigt er drauf und sieht in die Tasche, die ich hochziehe und setzt sich wieder hin, um sich weiter zu putzen. „Nein. Ich war noch nie 'einkaufen', das will ich mir ansehen.“ Ich zucke mit den Schultern, ziehe den Pullover sicherheitshalber trotzdem an und packe meine Sachen zusammen. „Na dann komm!“ 

  

Ich frage mich gerade, wer aufgeregter ist: Ray oder ich? Elegant öffne ich die Beifahrertüre und zeige ihm, dass er sich auf den Sitz setzen kann, was er überraschend geschickt macht. „Wie alt bist Du eigentlich?“, frage ich, ehe ich die Türe schließe. Nachdem ich mich auf dem Fahrersitz niedergelassen habe, höre ich ein komisches Geräusch in meinem Kopf und stelle erst spät fest, dass Ray gähnt. „Weiß ich nicht. Ihr habt sowas, wir nicht.“ „Sowas? Meinst Du Zeit?“, entgegne ich und grinse. „Mhm.“ Während der Fahrt ist es ziemlich still und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Im Grunde müsste ich an meiner Wahrnehmung zweifeln und mir Sorgen um meinen Verstand machen, aber es wirkt so unnatürlich natürlich. Verrückt. „Könnt ihr alle dieses Telepathie-Ding?“, stelle ich die letzte Frage, bevor wir aussteigen. Ray ist über meine Seite ausgestiegen und ich habe plötzlich Angst, dass ich mir das alles nur einbilde oder mich jetzt alle entgeistert ansehen, wenn ich mit einer Katze in ein Geschäft gehe. „Ich weiß es nicht.“ 

Damit hat sich das Thema für ihn erledigt und ich schaue mich um. Zum Glück ist nicht viel los. 

19:49 Uhr - Wir müssen uns beeilen.  

Ray hält perfekt Schritt, was mich nahezu erstaunt, immerhin ist er vielleicht nur 5 Monate jung und ich bin nicht bemüht langsam zu sein. Im Laden sehe ich mich immer wieder um, ob andere die Katze sehen oder irgendjemand darauf reagiert. Aber es tut sich nichts.  

„Tiere sind bei uns nicht erlaubt“, steht dann plötzlich eine ältere Angestellte vor mir. Sie blickt auf die Katze, wirkt sichtlich irritiert und überrascht und sieht dann mich an. „Ähm. Er macht nichts?“, versuche ich mich rauszureden, klinge dabei aber selber nicht sicher. „Eine Katze?“, stellt sie fest und ihr Gesichtsausdruck lockert sich. Sie hockt sich hin und möchte Ray streicheln, doch dieser wechselt gekonnt die Seite und setzt sich neben mich. „Ihr denkt auch, dass man alles ungefragt anfassen kann, was?“, klingt es harsch in meinem Kopf und ich fange an zu lachen. „Er ist ja noch ganz klein, wirklich niedlich“, sagt sie schmunzelnd und richtet sich auf. „Wir kaufen nur Katzenfutter“, entgegne ich und sie nickt. „Pass aber auf, dass er nichts kaputt macht“, sieht sie mich streng an, aber in ihrem Gesichtsausdruck ist Verwirrung, Irritation und Überraschung zu sehen. Ich bestätige es schnell, wir gehen direkt in die richtige Reihe und ich suche ein paar Dosen Nassfutter sowie eine Packung Trockenfutter. "Irgendwas das Du nicht frisst?“, frage ich leise und Ray antwortet prompt: „Das was nicht schmeckt.“ Super.  

„Irgendwas, das Dir besonders schmeckt?“, drehe ich die Frage um. „Fisch.“ 

Ich bemerke, wie immer wieder Menschen sich zu uns drehen und belustigt, aber auch sichtbar irritiert zu uns sehen. Wir beeilen uns und ich bringe alles zur Kasse. „Katzenklo gibt's keins“, sage ich draußen zu Ray und als wir wieder im Auto sind mustert er mich, ohne dass ich den Blick erwidere. „Kenne ich nicht.“ 

Beinahe wäre ich zu meinen Eltern gefahren, einfach weil ich die Faszination und dieses Neue in meinem Leben nicht für mich behalten will, aber wenn es doch nur eine gut getarnte Halluzination ist, möchte ich das gerne noch über das Wochenende genießen. 

  

Zuhause mache ich direkt die Dose auf und Ray umgarnt bereits meine Beine, „nun mach schon!“  

„Es riecht so gut.“ Ich muss schmunzeln und stelle die Schüssel runter, nachdem ich es etwas zerkleinert habe. „Trinkst Du Milch?“ 

„Was ist diese Milch?“, antwortet er mit einer Mischung aus schmatzen und schnurren. 

Ich schütte davon etwas in eine andere Schüssel und stelle es neben dem Futter in eine Ecke meiner Küche. Ray hält inne und schlabbert ein paar Mal. „Ja, schmeckt ganz gut.“ 

„Gehen wir dann spazieren?“, frage ich wieder und mir fallen langsam unzählig viele Dinge ein, die ich mit ihm machen will. 

„Schlafen.“ Ich verharre in der Küche, unsicher, ob ich ihn alleine lassen kann oder warten soll. "Ich schau mich dann noch um“, flüstert er und ich beschließe ins Wohnzimmer zu gehen und den Fernseher anzuschalten. 

Keine zehn Minuten später liegt ein kleines Wollknäul auf mir und schnurrt. „Passt so.“  

Dann schläft er und ich muss mal wieder grinsen. 

  

Am nächsten Morgen, nach einem guten Frühstück, starten wir unser nächstes kleines Abenteuer. 

 


12.09.2022 entstanden - von einem Traum und einer Menge Wunschdenken. ;)