.NICHTS.


Meine Gitarre ist an einer Ecke angeschlagen und eine Saite wird sich bald lösen, von der stellenweise fehlenden Farbe ganz zu schweigen. Aber das ist normal. Ich atme tief ein, muss aber sofort husten, es schmeckt verbraucht und vergiftet. Gleichzeitig schwül und trocken, als wäre ich in einer Wüste. Langsam fange ich an zu spielen, nichts Fröhliches, weil mir nicht danach ist. Vielleicht später. Das Plektrum dazu habe ich nicht gefunden. Vermutlich findet man hier auch nichts mehr als Asche, Staub und Dreck. Ich beschließe das Haus zu verlassen, obwohl es eigentlich kein Haus mehr ist. Dafür ist alles zu schwarz, viel zu verbrannt. Wände fehlen ebenfalls. Was davon übrig ist, ist verdreckt und grau. Der Boden ist morsch und mit Löchern versehen. Ich kann froh sein, dass ich noch so eine gut erhaltene Gitarre gefunden habe. Nein, dass ich überhaupt irgendwas gefunden habe. Wie sie wohl dahin gekommen ist?

Hier ist weit und breit kein Mensch. Oder irgendein anderes Lebewesen. Was bedeutet dieses “hier” schon? Die Straße besteht mehr aus Löchern und geplatzten Teerteilen, welche achtlos verteilt liegen. Etwas Grünes wird man weit und breit nicht finden. Ich fühle mich allein, verlassen und langsam kriecht die Trostlosigkeit der Umgebung meinem Körper hinauf. Durchdringt jede meiner Fasern, folgt meinem Blut und hinterlässt eine sterbende Kälte.
Aber das hindert mich nicht daran weiter zu spielen. Von A-Moll zu E und D-Moll, eine sanfte Zupfmelodie.
Die nach kurzer Zeit aufwändiger wird.
Bis ich realisiere, dass sich die Musik verselbständigt hat. Ich spiele gar nicht mehr. Garantiert ist es der Nachklang allen Lebens auf diesem Land. Oder Kontinent. Oder Planeten. Ich weiß es nicht. Die Melodie lässt alles schwer werden und bringt mich in eine traurige Stimmung. Schlendernd durchquere ich die Wege und betrachte all das Zerstörte um mich herum. Warum bin ich eigentlich hier? Hier in diesem Nichts, in diesem Elend, das selbst dem Tod ein entzückendes Erscheinungsbild verspricht. Ich schreie und ich rufe, aber ich höre mich nicht. Meine Stimme verschwindet in der Unendlichkeit. Falls ich überhaupt eine Stimme habe.

Alles ist zerstört, als wäre eine Bombe eingeschlagen, die einen Tornado aktiviert hat. Der alles mit sich zog, was der Explosion entgangen ist. Oder um die Spuren zu verwischen. Was noch fehlt, ist ein Tsunami und der Anstieg des Meeresspiegels, dann wäre es so, als gäbe es diese Insel gar nicht mehr. Sie würde einfach von der Karte verschwinden, falls es noch so etwas wie Landkarten gibt oder Menschen, die sie lesen. Ich bin stundenlang in eine Richtung gelaufen, was mich am Ende zum Meer brachte. Was mich wiederum zu der These einer Insel brachte. Vielleicht ist das auch nur meine Hölle, weil ich ein böser Mensch war. Bin ich überhaupt ein Mensch? Ich lasse mich fallen und sinniere etwas. Ich versuche es, aber mir fällt nichts aus einem möglichen früheren Leben ein - falls es sowas gibt. Wahrscheinlich war ich das Wesen, dass dieses Land zerstörte und Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat. Und hier bin ich nun, in meiner Strafe und in meiner persönlichen Hölle.

Oder ich bin die einzige Überlebende. Zu guter Letzt, bleibt noch die Möglichkeit, dass ich auch nicht mehr existiere, weil die Existenz nur eine Zusammensetzung vieler Teile ist.

Wie diese Gitarre. Die Musik verstummt.

Ich habe wohl ins Schwarze getroffen.

Ich bin Nichts oder das Überbleibsel von Allem.


20.05.2020 - herzlichen Dank an www.baltrum-verlag.de für die Ausschreibung "Dunkel".

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