Schatten - Zeit


 „Lauf schneller!“, hörte sie eine Gestalt rufen, während sie in die nächste Gasse einbog. Es war viel zu dunkel, um etwas zu erkennen, doch sie blieb in ihrer unsichtbaren Spur. 

Noch ein Stück. An der nächsten Hauskante verharrte sie und lauschte.

Ein Schrei ertönte und ihr Atem stockte für einen Moment. Ihre Gedanken kreisten um die zentrale Frage: War er es?

Dann hörte sie Schritte. Kurz darauf fing sie an zu Grinsen.

Sie setzte sich in Bewegung, nahezu über dem Boden schwebend, kam sie voran. Die nächste links, dann rechts und dort sollte es sicher sein.

Kaum hatte sie die Kreuzung erreicht, zügelte sie ihre Geschwindigkeit.

Sie blieb sogar stehen. Etwas Kaltes und Heißes zugleich zerrte sie nach vorne und zurück. Die Furcht in ihren schwarzen Augen spiegelte sich förmlich, dann machte sie einen Satz nach vorne. Kurze Zeit passierte nichts, doch dann umhüllte ein beißendes grelles Licht ihren Körper.

Sie schrie auf, sackte zusammen und verfiel der unnatürlichen Wärme.

Die Tür schlug auf, Licht strahlte in den kleinen Raum.

Langsam erlangte sie ihr Bewusstsein wieder, immer noch benommen schaute sie auf.

Eine große, dunkle Gestalt kam auf sie zu. Sie erkannte weder ein Gesicht noch etwas, was auch immer in dieser Gegend sein sollte. 

 

„Sac krez de la birr zu Kato?“, vernahm sie der zischenden Gestalt. Das einzige, was sie verstand, war ‚Kato‘. KATO! Sie schreckte auf und alles, was passiert war, läuft wie in einem Film vor ihrem inneren Auge ab. Kato war ihr Freund, sie kannten sich schon lange. Sie saß da und beobachtete den Sonnenuntergang am Horizont. Sie unterdrückte ihre Einsamkeit und genau dann ging er den Weg entlang. Er stürzte und verlor seine ganzen Dokumente, sie eilte zur Hilfe. So begann ihre Freundschaft oder Beziehung, was auch immer das für ein Verhältnis war. Aber vor kurzem hat er ihr noch den Weg freigehalten, damit sie entkommen konnte.

Ein grelles Licht in ihren Augen riss sie aus dieser Vergangenheit und brachte sie in die Gegenwart zurück. Die Person hielt respektvollen Abstand zu ihr. Sie sprang auf, weichte dem Licht aus und eilte zu der Gestalt. 

„Wo ist Kato? Wo bin ich?“, schrie sie ihn an.

Er weichte ihr aus und verließ den Raum.

Nach stundenlangem Warten kam ein anderer Mann in den Raum.

Ein Mensch. Zumindest glaubte sie das. Sie hatte noch nie einen gesehen.

Auch er hielt den Abstand zu ihr und setzte sich auf den Stuhl in der anderen Ecke des Raumes. Eine unerträgliche Stille breitete sich aus. 

Beide betrachteten sich gegenseitig und versuchten einander zu deuten.

Dann durchbrach er das Schweigen: „Wie ist dein Name?“

Sie schaut auf dem Boden. „Mein Name ging verloren, -  aber Kato nennt mich immer Ly, wie Lysia.“

Er wandte seinen Blick von ihr ab. 

„Wo ist Kato?“, platzte es aus ihr heraus. 

„Das wissen wir nicht. Nachdem er unzählige unserer Mongúls getötet hat, ist er verschwunden.“ 

Sie fing an zu zittern, so auch ihre Stimme: „Wer seid ihr?“

Er ignorierte ihre Unruhe und sprach stolz und ruhig: „Einer der unterstützenden Arme des Königs. Aber was bist du? Wem dienst du und warum widersetzt ihr - du und dein Freund - euch?“

Langsam fing sie sich wieder, stand auf, ging ein paar Schritte auf ihn zu und flüsterte: „Ihr bringt Schande über unsere Welt. Erhellt diese mit eurem falschen Licht und bringt unser aller Verderben!“

Er lachte, entgegnete dann aber überzeugt: „Wir bringen Licht in die Dunkelheit, bauen Behausungen auf, erschaffen eine neue Welt, für jeden von uns.“

 

~~~

 

Er streifte seine Klinge an den Kleidungsfetzen seines gefallenen Gegners ab und schob sie in den Schaft. Dann machte er sich auf den Weg.

Der Morgen bricht bald an. Er liebte die Sonne, doch zu der Dunkelheit fühlte er sich hingezogen. Sein Weg führte ihn nach Hause, zu seiner Familie, seinen Freunden und dem Volk, bei dem er aufgewachsen ist.

„Was wollte er nochmal in der Stadt?“, fragte er sich. Es fällt ihm nicht ein.

Nun beschleunigte er sein Tempo und konnte schon den Eingang seines Dorfes erkennen. Zwischen Wald, Fels und Wasser lag es, so verborgen, dass es noch keiner von den düsteren Gestalten erblicken konnte. „Ouv vu“, flüsterte er und das Wasser schuf ihm Platz, im Felsen öffnete sich eine Tür und ein Nebel verschleierte alles. Er nickte dem Wächter hinter dem Eingang zu und machte sich auf den Weg zu seinem Heim.

„Wo ist Lysia?“, schrie ihm eine ältere Frau entgegen.

Blitzartig schoss es ihm die Erinnerung in seinen Kopf. Sie ist fortgerannt und suchte nach etwas, ehe sie sich verlief. Er sollte sie finden und zurückbringen, ist dann jedoch auf eine Horde von bewaffneten Gestalten gestoßen und wollte ihr den Rücken freihalten, damit sie entkommen konnte.

Benommen wird ihm bewusst, dass sie nicht hier ist und er versagt hatte.

„Ich schickte sie zurück und wurde angegriffen! Sie sollte hier sein …“, brachte er entsetzt hervor.

 

~~~

 

Plötzlich überkam sie eine Energie. Sie fühlte es, diese überwältigende Macht. 

Sie ging auf ihn zu, umfasste seinen Hals, woraufhin er entsetzt aufschrie.

Er schnappte elendig nach Luft, versuchte seine Arme zu heben und sie wegzustoßen, - vergebens. Man konnte durch das Licht, das durch die kleine Luke in den Raum fiel, erkennen, dass schwarze Fasern seinen Hals umhüllten.

Sein Schrei verstummte und er sackte nach vorne. In derselben Minute wurde die Türe aufgerissen und zwei von diesen dunklen Gestalten stürmten hinein.

Erst fiel ihr Blick auf den gefallenen Menschen, dann eilten sie zu Lysia mit gezücktem Schwert. Beide fauchten oder kreischten. Lysia macht einen Satz zur Seite, der Erste rannte gegen die Wand und den Zweiten packte sie rücklings um den Hals und klammerte sich an seinen Körper fest.

Doch dieses Mal geschieht nichts.

„Das sind Mongúls!“, kam ihr in den Sinn. Sie plante um und schlug mit ihrem Bein nach dem seinigen. Der Schlag glitt hindurch.

Panik machte sich in ihr breit. Sie griff zu dem Schwert des Menschen, die Klinge eines Mongúls verfehlte um Haaresbreite ihre Hand. Sie fasste den Griff, zog es aus der Hülle und schlug mit dem Griff nach dem Feind hinter ihr.

Dieser taumelte zurück. Sie duckte sich und weichte somit dem Schlag des anderen aus, dabei machte sie eine elegante Bewegung mit dem Schwert und teilte ihr gegenüber in zwei Hälften. Der zweite verharrte einen Moment, kreischte dann wieder.

„Da kryp lu…“, sein Hilferuf endete kopflos.

Plötzlich fiel ihr die Klinge durch die Hand und landete laut klirrend auf dem Boden. Sie schaute hinunter zum vollkommen eingeschwärzten Schwert.

Langsam begriff sie und erinnerte sich, dass Kato ihr immer Fetzen von weißem Stoff um die Gegenstände wickelte, die er ihr gab.

Das probierte sie jetzt auch und zerriss das hellblaue Hemd des Menschen und umwickelte den Griff von einem Schwert eines Mongúls.

Dann verließ sie den Raum.

 

~~~

 

Panisch schaute er um sich, sein Blick fiel auf die alte Frau, die für sie wie eine Tante ist.

Tränen bildeten sich in ihren Augen, er ging zu ihr und nahm sie in den Arm.

„Alles wird gut, ich werde sie finden!“, flüsterte er ihr zuversichtlich ins Ohr.

Dann wandte er sich ab und eilte in sein Haus.

Als er die Türschwelle übertrat, überrannte ihn eine tiefe und lähmende Müdigkeit. Er schaffte nur die wenigen Schritte und fiel dann in sein Bett in einen unruhigen Schlaf.

 

~~~

 

Nachdem Lysia ein paar Schritte gegangen war, fragte sie sich, woher sie diese Kampfkünste beherrschte. Sie hielt noch nie ein Schwert in der Hand und musste sich auch noch nie so elegant bewegen.

Aber sie war froh, diese unbekannten Fähigkeiten zu haben und schlich die Gänge entlang.

Auf einmal erklang eine laute Sirene. Das musste der Alarm wegen ihrer Flucht sein.

Ihr Tempo beschleunigte sich und sie griff zur nächsten Türklinke, hinter der sie den Ausgang vermutete. Doch sie irrte sich gewaltig, sie zählte sechs Mongúls und zwei Menschen um einen Tisch sitzen.

 Das war wohl einer ihrer Versammlungen.

Alle verharrten für einen Moment, dann knallte Ly die Türe wieder zu und rannte den Gang entlang ohne auf den Lärm, den sie veranstaltete, zu achten.

Unzählige Wege lagen vor ihr, sie versuchte die Gänge im Zickzack zu laufen, während die Mongúls ihr dicht auf den Fersen waren. 

Überall die gleichen faden, grauen Kerkerwände und die gleiche stickige Luft, doch dann roch sie etwas Feuchtes in der Luft. Außerdem erkannte sie Moos zwischen den Steinen an den Wänden. Diesen Weg folgte sie bis zu einer Tür.

Wenn es dort nicht weitergeht, saß sie in der Falle.

Sie packte zum Griff und rüttelte. Verschlossen.

„Gleich haben sie mich.“ Sie bekam es mit der Angst zu tun und sackte zu Boden. Die Gegner kamen nun mit hoch gehaltenen Waffen auf sie zu, sie lehnte sich gegen die Türe, genau an der Stelle, an der kein Licht hinfiel. Als sie wieder die Augen öffnete, war sie draußen. 

Die Sonne stand schon weit oben. Sie raffte sich hoch und schaute um sich. Die Türe war immer noch verschlossen. Lediglich die Mongúls hämmerten dagegen.

Sie taumelte ein paar Schritte zurück und erkannte nach kurzer Zeit ihre Stadt Ankratos. Die ganze Stadt erstreckte sich unter ihren Füßen. Somit befand sie sich im Palast, besser, außerhalb des Palastes, wo die Gefangenen aufbewahrt werden.

Erst jetzt bemerkte sie die zwei Wachen, die sich neben ihr befanden.

Sie schaut auf ihre Hand, das Schwert liegt immer noch gut in dieser.

Die Wächter waren weder Mongúls noch Menschen, sie scheinen irgendwas dazwischen zu sein. Lysia machte einen Satz nach vorne, doch sie war zu spät. Eines der Klingen traf ihr Bein. Der Schmerz war unerträglich und setzte sofort ein, weshalb sie ihr Gewicht auf das gesunde Bein legte und mit ihrem Schwert den Wächter die Seite schlug, wodurch eine tiefe Wunde aufklaffte und viel Blut floss. So ein schönes Rot. Der Zweite war etwas entfernter von ihr und starrte verwirrt auf sein Schwert. Das verfärbte sich schwarz. Diese Schwärze kroch das Schwert entlang und traf auf seine Haut. Er schrie entsetzt auf und verkümmerte am Boden. Lysia machte sich auf den Weg.

 

~~~

 

Schweißgebadet schreckte Kato hoch. „Wie lange habe ich geschlafen? LYSIA!“

Er griff zu seiner Machete und rannte hinaus. 

„Die Sonne wird in ein paar Stunden untergehen“, stellte er draußen fest.

Dann hörte er es. Dieser entsetzliche Schrei. Sein Blick gen Palast, auf der eine kleine schwarze neblige Fläche zu erkennen war. Mehr konnte er nicht sehen, da das Gebirge ihm die Sicht versperrte. Ankratos ist eine schöne Stadt. Sie wurde direkt am Meer errichtet und ist umhüllt von Bergen.

Die Häuser sind prächtig und erstreckten sich bis weit nach oben auf dem langsam steigenden Hang und endeten beim Palast.

Schon eilte er in diese Richtung und ahnte nichts Gutes.

 

~~~

 

Lysia lief humpelnd den Weg entlang und sah unzählige der wunderschönen Häuser, die sie schon vom Palast aus bewundert hatte. Diesmal von ganz nah.

So nah war sie diesen noch nie. Viele Menschen oder andere Wesen kreuzten ihren Weg. Jeder Mensch, der sie sah, hielt inne und ging ihr in großem Bogen aus dem Weg oder kreuzte diesen erst gar nicht. Manche rannten sogar davon.

Plötzlich erschrak sie, zuckte zusammen und drehte sich um, die Mongúls sind herausgekommen und kreischten. Sie verließ den Hauptpfad und kehrte in die dunklen Gassen ein, wo sie sich wesentlich schneller bewegen konnte.

Sie hörte ein Klirren, drehte sich um und sah ihr Schwert auf dem Boden liegen, komplett schwarz. Alles Schwarze verliere ich.

Die Sonne ging langsam unter, das war ihre letzte Hoffnung.

Wenn es dunkel ist, werden sie mich nicht mehr finden können.

Unerwartet ging eine Tür vor ihr auf und sie lief komplett dagegen. Ein kleiner Junge schaute um die Ecke und entschuldigt sich vielmals. Bis er sie richtig sah, dann stockte er. „Ist schon in Ordnung“, antwortet Ly ihm.

Der Junge konnte seinen Blick nicht von ihr lösen, sie ist fast dreimal so groß wie er und wirkt äußerst angsteinflößend. „Wohin willst Du?“, stammelte er.

Während sie sich aufrichtete, antwortete sie ihm: „Nach Hause.“

„Wo ist das?“, presste er zwischen die Zähne durch und bereute diese Frage gleich. Lysia deutet Richtung Meer und sagte, dass es dort sei. Dann verabschiedete sie sich von ihm und ging weiter.