Mein Nebel!


Allein? Natürlich bin ich allein im Nebel.

In meinem ganz persönlichem Nebel. Mein Schleier, der die Welt verzerrt und alles mit meinen Filtern übersät. Es wäre auch absurd, wenn sich jemand dazu drängen würde und mir die Show stiehlt. Oder gar meinen Wahnsinn raubt. In was für eine Welt würde ich dann leben?

 

Ich will hier auch alleine sein, diese Surrealität möchte ich niemanden zumuten! Oder gar mit jemanden teilen.

Mein Nebel ist einmalig, es lässt Situationen so erscheinen, wie ich sie interpretiere und deklariere. Während für die Einen ein Sonnenuntergang am Strand mit einer besonderen Person das perfekte Schauspiel der Romanze darstellt, ist es für mich lediglich ein Sonnenuntergang am Strand, mit einem Menschen, der hoffentlich etwas zum Essen mitgebracht hat.

Manche Überinterpretieren ihren Nebel und beziehen Dinge, die absolut nichts mit ihnen zu tun haben, auf sich. Wie der Junge, der denkt, dass die Klassenkameraden ihn auslachen, obwohl sie aktuell über etwas ganz anderes reden, der Blick nur auf ihn fällt, weil dieser immer alleine ist. Vermutlich traut sich keiner von ihnen, den Jungen anzusprechen, weil er für sie zu arrogant wirkt.

 

Es gibt eine große Facette an Nebel-Arten, die uns die Sicht trüben und alles verzerren.

Von Sprach-Nebeln, Kultur-Nebeln, Religions-Nebeln, bis hin zu dem Individual-Nebel, der einem ganz alleine gehört und sich kaum mit jemanden teilen lässt.

Manchmal schafft es eine vertraute Person, einen minimalen Teil des eigenen Wahrnehmungnebels zu erkennen, doch in vollem Umfang scheitert jeder.

Mit unseren abertausenden von Filtern, mit welchen wir tagtäglich durch die Welt und unseren Alltag laufen ist nicht zu spaßen! 

Es gibt einige, die uns Steine in den Weg legen und uns diese Einsamkeit, die wir ohnehin in uns tragen, noch deutlicher vor Augen führt.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es schon eine große Leistung ist, wenn wir mit unseren Interpretationen einen Spagat machen und währenddessen versuchen, dem Geschehen vor uns bewusst beizuwohnen. Dabei werden wir noch mit unseren abertausenden von Stimmen beworfen. “Hast du schon den Müll rausgebracht?”, “Wir wissen beide, dass du nie so viel erreichen wirst!”, “eigentlich bist du doch müde und willst gar nicht hier sein”. Man räuspert sich. Oder schüttelt sich. Die Stimmen verschwinden kurz, ein Gähnen bleibt zurück.

Was hat die Person gesagt?

 

Nebel werden antrainiert, erzogen, übernommen und mit viel Training chronifiziert. 

Dem Leistungsdruck in der Kindheit, folgt ein “mit sich unzufrieden-sein” im Erwachsenenalter. Mobbing oder anderweitig böse Worte werden als Täterintrojekte übernommen und später als “Kritisches Ich” deklariert. Nur um seinen eigenen Selbsthass zu bagatellisieren und schön zu reden. Klappt der Erfolg nicht oder ist man ohnehin schon nicht mit sich zufrieden, folgt man einem Ideal in der Fluencer-Welt. Weil das ja sooo gesund ist und alles soooo toll, wie sie nichts essen und ständig Sport treiben, damit sie einen BMI von “kurz vorm Verhungern” haben. Applaus! Unsere Nebel sind fantastisch.

Fantastisch zerstörerisch. Aber was wären wir schon ohne diese? Immerhin bietet es so eine Menge Spaß an Missinterpretationen. Denkt dabei nur einmal an die vielen Variationen von “bis später” oder “ich komme gleich”.

2 Stunden später.

Wobei der Ein oder Andere bei “ich komme gleich”, ohnehin an etwas ganz anderes denkt.

 

Unsere Wahrnehmung ist schon etwas sehr Spezielles und Individuelles.

Die Kunst wird es immer sein, möglichst viel im Nebel des anderen zu erkennen -

den manchmal fühlt sich ein fremder Nebel vielleicht doch deutlich heimischer an, als ein anderer. 

Man kann ja nie wissen.


Vielen Dank an die Spin-Gruppe, die mit dem Kurzgeschichten-Wettbewerb und dem Thema "Allein im Nebel", mich dazu angeregt hat, aktiv zu werden.

04.10.2021