Sabrina Beck - Befragungen


Ray lugt in mein Büro,  »Du, der Bauarbeiter wäre auch da und vernehmungsfähig.« Überrascht schaue ich auf, »dann muss Herr Knud wohl warten, oder?«, sage ich keck und grinse leicht. Eigentlich ist mir nicht nach Grinsen zumute. Ich werde einfach dieses Bild von Sabrina nicht los. Es hat sich förmlich in mein Gehirn gebrannt, dabei hat es etwas furchtbar Makaberes. Die ganze Aufmachung, Präsentierung und der ironische Text. Das Gehirn als Igel. Wie kommt ein Mensch auf sowas? Und was noch viel interessanter ist: Was sagt das über den Täter aus?  

Genickbruch. Sie hat sich zurückgezogen. Vielleicht doch unbekannte Schwierigkeiten. »Haben wir schon ihre finanziellen Daten?«, frage ich. Verwerfe jedoch sofort den Gedanken, dass es eine Art Bezahlung gewesen sei. Oder war es Organhandel? Und es geht doch um irgendwelche Schulden? »Fehlen irgendwelche Organe?«, greife ich den Gedanken doch wieder auf, ehe Ray antworten konnte. »Uns liegt noch kein Bericht vor, soweit ich weiß, fängt Melo gerade erst an«, fängt Ray an, »Finanzielles auch noch nicht - wir sind dran!« Er sieht mich auffordernd an und ich erhebe mich endlich, nachdem ich den kalten Kaffee geleert habe. Auf dem Weg zum Bauarbeiter, Herr Schmidt, mache ich mir unzählig viele Gedanken, verwerfe die meisten jedoch direkt wieder. Geld? Passt irgendwie nicht. Rache? Warum wird sie dann so ausgestellt? Beim Rachemord, werden die Opfer eher kaltblütig umgebracht, hier sah es eher so aus, als wurde viel Zeit in die perfekte Darstellung investiert. Außerdem sollte das Opfer wenig gelitten haben, wenn die Todesursache wirklich Genickbruch ist. Ein Mord aus Leidenschaft oder Eifersucht würde diesen Aufwand auch nicht erklären. Irgendwas übersehe ich.

 

»Hallo Herr Schmidt, vielen Dank, dass Sie sich für uns nochmal Zeit nehmen. Und entschuldigen Sie, dass Sie erneut alles erzählen müssen«, starte ich und strecke meine Hand aus. Bernd Schmidt sieht immer noch sehr mitgenommen, wenn nicht gar etwas verstört aus. Seine Augen sind groß und er wirkt nervös und unruhig. Ein Dreitagebart ziert sein Gesicht und seine eher kleine Körpergröße lässt ihn pummelig wirken. Gleichzeitig sieht er stark aus, vermutlich eine Mischung aus schwerer Arbeit und Bier. Sein rundliches Gesicht sieht blass aus. »Macht nichts«, sagt er fahrig und schüttelt meine Hand mit einem eher schwachen Griff. Ich deute auf den Platz und er setzt sich. Ein kurzer Blick auf das bereits gefüllte Glas, ein Zeigen darauf und die bestätigende Geste von Ray führt dazu, dass er es in einem Satz austrinkt. Fast so, als wäre er verdurstet. Ich setze mich gegenüber, Ray direkt neben ihn. »Fangen Sie am besten ganz von vorne an, als Sie heute aufgestanden sind.« Er sieht zu mir, zu Ray, wieder auf seine Hände im Schoß, die er knetet und fängt dann unsicher an: »Ich bin aufgestanden, wie jeden Morgen und habe mir Kaffee gemacht.« 

»Um wie viel Uhr war das?«, frage ich und bin bemüht eine beruhigende Stimme zu haben. 

»Mein Wecker klingelt um 05:30 Uhr, um 6:00 Uhr fahre ich meistens los und bin als Erster bei der Baustelle.« 

»Sie sind ein einfacher Angestellter, richtig?«, hinterfrage ich und er nickt, dabei scheint er inzwischen ruhiger zu werden. »Ich mag es, als Erster dort zu sein und ich bin Frühaufsteher. Vor Ort kann ich mir einen Überblick verschaffen, was heute ansteht und mir einen inneren Plan dazu machen. Meine Kollegen schätzen das sehr.« Er zögert etwas, dann fährt er fort: »Ich glaube, das gibt ihnen Sicherheit, eine Routine und sorgt damit für weniger Stress.« 

»Ist so früh nicht alles abgeschlossen? Oder haben Sie einen Schlüssel?«, frage ich irritiert. Irritiert bin ich eher über die Bereitschaft eines gewöhnlichen Angestellten. Das würde rangtechnisch eher zu einem Vorarbeiter passen. »Mögen Sie Ihren Job?«, ergänze ich, ehe er antwortet. »Ja«, sagt er bestimmt. »Die meisten Objekte sind nicht abgeschlossen, es ist so, als würde man ein neues Haus ohne Fenstern abschließen. Da ist ja noch nichts und macht somit keinen Sinn«, erklärt er, dabei klingt das Beispiel so, als wäre es nicht von ihm. Trotzdem leuchtet es mir ein. »In diesem Fall ist das leider nicht ganz korrekt«, mischt sich Ray ein und ich nicke schwach. »Die Geräte der Baustelle wurden für den Mord missbraucht, darunter -«, führt Ray an, stoppt jedoch, als Herr Schmidt blass wird. Ray hat mir während der Rückfahrt davon erzählt. Ein paar Sägen, darunter eine feine Säbelzahnsäge lag dort und wurde verwendet, um die Schädeldecke aufzuschneiden sowie ein stumpfes Cuttermesser für den Schnitt am Oberschenkel.

»Erzählen Sie bitte weiter. Sie kamen in der Arbeit an. Was war dort das Erste, was Sie taten und ist Ihnen etwas aufgefallen? War etwas anders?«, wechsle ich das Thema, auch wenn es das nicht zwingend einfacher macht.

»Als ich dort war, bin ich durch die Seitentüre hineingegangen und wurde von dem Gestank erschlagen. Aufgefallen ist mir nichts, es war auch absolut niemand da«, erzählt er und sieht von Ray zu mir hin und her. »Zuerst konnte ich mir das nicht vorstellen. Ja, da liegt jemand. Eine junge Frau, aber, - aber, dass sie tot ist oder -«, er stoppt. Fährt sich durch die wenigen Haare, nimmt einen Schluck vom neu aufgefüllten Wasser und will weiterreden. »Kannten Sie die Frau auf dem Tisch?«, werfe ich ein.  

Herr Schmidt schüttelt den Kopf: »Nein, zumindest nicht, dass ich wüsste. Um ehrlich zu sein, habe ich sie kaum angesehen, als ich ihr Gehirn -«, er wird ganz blass im Gesicht.  

»Schon okay«, sagt Ray und nickt mir zu. Daraufhin verabschiede ich mich, nachdem ich die Standardfloskeln ausgesprochen habe und ihm meine Karte zugesteckt habe. Falls ihm noch etwas einfällt. Meistens fällt den Ersten noch etwas ein, oft ist es nur nicht relevant. 

 

 Als ich den Raum verlassen habe, atme ich aus. Er tut mir leid. Jeder, der das Opfer sah, tut mir leid. Diesen Anblick vergisst man nicht. Ich zücke mein Handy und schaue, ob mir jemand geschrieben hat. Nichts. Jetzt kommt aber eine Benachrichtigung, irgendwas von YouTube. Dann fällt es mir ein; Sabrinas Handy. Ich gehe schnellen Schrittes zur Spurensicherung, ohne Begrüßung oder irgendwas, platzt es aus mir heraus: »War ein Handy beim Opfer dabei?« Einer der Angestellten ist irritiert, sieht mich an, dann klingelt es und er geht die Liste durch. »Nein, tut mir leid.« Ich gehe wieder. Herr Knud - genau. Ich muss noch mit ihm reden. 

»Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin. Ich kann Ihnen doch gar nicht helfen«, sagt Herr Knud, kaum habe ich das Besprechungszimmer betreten.

»Alles ist wichtig, fangen Sie doch einfach bei Ihrer Trennung an. Wann war das und wie kam es dazu?«, entgegne ich inzwischen wieder mit normaler Atmung.  

Er wird jedoch unruhig: »Werde ich verhört oder verdächtigt? Brauche ich einen Anwalt? Ich habe das Recht auf einen Anwalt!«

 

Beschwichtigend hebe ich meine Hände, obwohl mich sein Verhalten irritiert. Warum ist er so nervös? »Wir reden nur, keiner wird beschuldigt. Wir möchten einfach nur verstehen, was  passiert ist.«  

Ray ergänzt noch: »Wenn Sie einen Anwalt möchten, können Sie gerne einen rufen.« Herr Knud beruhigt sich sofort wieder und wirkt wie ausgewechselt, »nicht verdächtigt, ah okay. Ich dachte schon«, er bringt ein nervöses Lächeln zustande, »na ja, Sie wissen schon, wie das oft in Filmen oder Serien gezeigt wird.« Ich nicke schwach und wiederhole meine Frage.

 

»Wir haben uns vor zwei Monaten getrennt, ungefähr. Das ging leider von ihr aus, ich konnte es mir auch nicht erklären. Natürlich hatten wir Meinungsverschiedenheiten, aber es hat für sie wohl nicht mehr gepasst«, beantwortet er endlich meine Frage. »Um welche Meinungsverschiedenheiten ging es?«, hake ich nach. Er wird wieder unsicher: »Na ja, Sie wissen schon, die typischen Streitereien unter Partner, Geld, Planungen, Zukunft, wir haben oft über unsere unterschiedlichen Sichtweisen bezüglich Kinder gestritten. Ich wollte schon immer Kinder, Sabrina sträubte sich und in letzter Zeit sagte sie konsequent ‘Nein’. Zuvor war es immer ein ‘Vielleicht später’.« Ich möchte schon etwas sagen, doch er hängt noch an: »Ich mein, wir sind schon einige Jahre zusammen gewesen, haben sogar die Wohnung geteilt. Da ist es doch normal, die nächsten Schritte zu planen, oder nicht?« Mitfühlend nicke ich und will es genau wissen: »Natürlich. Völlig verständlich. Und weil Ihre Vorstellungen nicht gepasst haben, hat Frau Beck sich von Ihnen getrennt?«  

Jetzt wird es komisch, er scheint nervös zu sein, reibt sich die Hände an der Hose ab und schaut von Ray zu mir hin und her. »Ja genau.« Ich schaue kurz zu Ray, der auch meinen Blick wissend erwidert. »Hatte Frau Beck Probleme oder finanzielle Schwierigkeiten?«, ändert Ray das Thema. Ich nicke ihm kaum merklich zu. Das war gut, ein Themenwechsel fällt oft nicht auf und wiegt Befragte in Sicherheit. Vielleicht verspricht er sich und wir können das aufgreifen, um an die Wahrheit zu kommen. Es scheint aufzugehen, denn Herr Knud wird wieder lockerer und schüttelt den Kopf: »Nein, nicht dass ich wüsste. Wir waren immer recht offen mit unseren Finanzen und in den letzten Monaten der Beziehung gab es keine Probleme. Im Gegenteil, durch einen Jobwechsel, konnte ich sogar mehr verdienen und wir wollten in den Urlaub fliegen.«

 »Von Urlaubsplanung bis hin zur Trennung - irgendwas muss doch da passiert sein?«, bohre ich noch einmal in die Wunde, weil es einfach nicht passt. »Wie gesagt, da fingen vermehrte Streitereien an und endeten in der unterschiedlichen Sichtweise unserer Zukunft.«

 

»Wie sieht es mit anderen Freunden aus?«, fragt Ray. Herr Knud zuckt mit den Schultern,  

»wir haben kaum welche und haben eher sporadisch etwas mit ihnen unternommen. Sabrina war oft müde und demotiviert. Ich glaube, die Arbeit hat sie geschlaucht.«  

»Wie kommen Sie darauf? Gab es dort Probleme oder war Sabrina unzufrieden?«, setze ich nach. Ray schielt zu mir, ich grinse leicht und bin mir bewusst, dass ich gerade den Vornamen benutzt habe. Absichtlich. Es gibt so viele kleine Nuancen im Sprachgebrauch, die das Klima oder die Richtung sowie die emotionalen Erinnerungen beeinflussen können. Das wollte ich mir mit dieser persönlichen Ebene zunutze machen. Ab und an scheint es Befragte zu stören, wenn wir das machen, was uns wiederum auch einiges verrät. Moritz Knud scheint es nicht einmal aufzufallen. »Sie beklagte schon, dass der Beruf sie nicht ausfüllt und sie oft gelangweilt davon ist. Nicht, weil es nichts zu tun gibt, im Gegenteil, sie hatte sehr viel zu tun und schob oft Überstunden. Aber ich glaube, es war einfach nicht der richtige Beruf.«

 »Ärger oder Feinde hatte sie dort keine, oder?«, reagiert Ray und ich schaue wieder zu Moritz. »Nicht, dass ich wüsste.« Ich lehne mich zurück und mustere ihn, »warum hat sie den Job nicht schon früher gewechselt, warum hat sie erst vor kurzem gekündigt?« Er macht es mir gleich, scheint aber nicht entspannt genug zu sein, um diese Haltung beizubehalten und lehnt sich wieder vor: »Sie wollte, aber sie war recht unsicher und hatte Bedenken.« 

»Weswegen?«, springe ich rein, bevor er noch etwas sagen konnte.

»Ich weiß nicht, sie hat es sich nicht zugetraut, schätze ich. Man muss auch bedenken, dass Sabrina dort schon lange tätig war.« Ich nicke schwach, so unüblich ist das nicht. Viele fürchten sich vor einem Jobwechsel, unabhängig davon, wie gut die derzeitige Arbeitsmarktlage ist. Er flüstert beinahe: »Ich wusste gar nicht, dass sie gekündigt hat.« 

 

Ein kurzer Blick auf die Uhr an der Wand zeigt 11:07 Uhr an. Moritz macht es mir nach und wirkt wieder gestresster. »Kann ich Ihnen noch weiterhelfen oder darf ich gehen? Eigentlich sollte ich zur Arbeit. Heute Morgen habe mich abgemeldet, aber jetzt würde mir die Ablenkung ganz guttun und es gibt noch einige offene Aufträge.« 

»Was arbeiten Sie?«, frage ich neugierig. Zuvor erzählte er von einem Jobwechsel, ob die Streitereien auch damit zusammenhängen? »Ich bin in der Immobilienbranche tätig«, gibt er knapp von sich und ich belasse es dabei. Nachdem ich meine Karte gebe und ihn bete, in der Stadt zu bleiben sowie erreichbar zu sein, verlässt er uns eilig. 

 

»Irgendwas stimmt da nicht«, spricht auch Ray das aus, was ich gedacht habe.