Ihr Umfeld


(Zeitsprung + 1 Tag)

 

Der gestrige Tag verlief unspektakulär. Die meiste Zeit waren wir im Büro und haben versucht Informationen zu kriegen. Dazu haben wir online gesucht, Social Media abgeklappert und einige Telefonate geführt. Natürlich sind wir der IT regelmäßig auf die Nerven gegangen. 

Tatsächlich konnten wir die Freundin von Sabrina ermitteln und haben für heute einen Termin vereinbart. Sie kommt gegen 11 Uhr ins Revier.

 

»Hat Moritz nicht gesagt, er habe den Job gewechselt und es stünde nun besser um die Finanzen?«, fällt mir gerade ein. 

»Ja?«, reagiert Ray irritiert.

»Ich wundere mich nur, weil sie so oft im Urlaub waren, obwohl er betont hat, dass sie es sich jetzt besser leisten könnten.«

»Schau doch«, sucht er die Dokumente und zeigt darauf, »das waren alles Reisepauschalen über Organisationen zu relativ günstigen Preisen. Vielleicht meinte er, dass sie sich jetzt einen teureren oder weit entfernteren Urlaub leisten könnten.«

Ich nicke schwach. Die Nachweise der IT haben auch nicht besonders viel ergeben, nur dass seine und ihre Handynummer im Netz eingeloggt sind. Die Ortung von Sabrinas Telefon, die wir nach dem richterlichen Beschluss arrangiert haben, ist ins Leere gegangen. Das war offenbar aus und der letzte Standort war die Lagerhalle.

Das muss bedeuten, dass der Mörder das Handy mitgenommen hat. Aber warum?

Mühsam suche ich das Dokument mit den Browserverläufen ihres Laptops aus meinem Papierstapel:

www.youtube.com

www.google.com

www.wetter.com

www.elster.de

www.ebay.de

www.amazon.de

https://chat.openai.com/

www.facebook.com

ein paar Forumsseiten zum Kochen, für Steuern, Rechtsthemen, …

 

Ob wir herausfinden können, was sie mit ChatGPT besprochen hat?

 

Unten bei der IT angekommen, stelle ich genau diese Frage.

»Theoretisch ja, wenn wir uns mit ihrem Namen einloggen. Aber dazu benötigen wir die passende E-Mail und das Passwort.«

Der schlaksige ITler sieht mich auffordernd an. »Könnte dort etwas Relevantes drinstehen?«, frage ich. Doch er zuckt lediglich mit den Schultern, »könnt auch Müll sein, die Leute geben da alles ein.«

Ich seufze laut, »ich gebe es weiter, hoffentlich dauert es nicht so lange.«

»Bis Google oder die Plattform uns die Daten gibt?«, spricht er und setzt zum Lachen an.

Ich schmunzle, »Nein, dass wir uns die Daten holen.«

Sein Lächeln verschwindet und er grinst verschmitzt. »Davor muss ich abklären, dass es keinen anderen Weg gibt«, schiebe ich hinterher und verschwinde direkt wieder.

 

»Meinst du, Moritz würde uns Sabrinas Login-Daten sagen?«, frage ich Ray.

Er blickt auf, »ich glaube nicht.«

»Warum nicht? Er hat ja nichts davon.«

»Er hat bestimmt Schiss, dass es seltsam wirkt, wenn er das alles weiß. Stalkende Personen sind oft komisch«, entgegnet Ray und mir fällt es wieder ein. Stimmt. Sind sie.

Dabei wäre es nicht einmal seltsam, wenn ein langjähriger Partner -

»denkst du nicht, sie hat es nach der Trennung geändert? Was, wenn sie wusste, dass er sie überwacht, sie sich unter anderem deshalb getrennt haben und sie es direkt geändert hat?«, denke ich laut. 

»Das kann durchaus so sein, dann müsste er ja ziemlich wütend gewesen sein.«

»Meinst du, er könnte …«, setze ich an, verwerfe es jedoch gleich wieder mit den Worten: »aber warum hätte er sie dann so brutal ausstellen sollen?«

Ray seufzt. Ich seufze. Dann gehe ich in mein Büro und greife zum Telefon.

 

»Hallo, Elisabeth Growe, Kriminalpolizei hier. Wäre Herr Knud bereit, uns die Login-Daten von Sabrina mitzuteilen?

Wir benötigen diese zur Einsicht in sämtliche Social Media Accounts sowie Google, OneDrive und ChatGPT.«

Der Anwalt bittet um eine Minute, dann kramt er, klickt und antwortet: »Ich frage meinen Mandanten und melde mich. Herr Knud hat mir gestern mitgeteilt, dass er unbedingt wissen will, wer Frau Beck das angetan hat. Ich bin optimistisch, dass er kooperieren wird.«

Das überrascht mich etwas, weshalb ich mich kurz räuspern muss: »Oh, das freut uns. Vielen Dank. Wiedersehen.«

 

»Kaffee?«, erscheint eine Tasse in meiner Türe, geführt von Rays Hand.

»Ja bitte«, erwidere ich und schaue auf die Uhr in meinem PC: 10:34 Uhr.

Ray kommt rein, »alles okay?«. Er mustert mich und ich mag dieses Gefühl gewöhnlich nicht.

»Nein«, entgegne ich ehrlich. »Ich habe das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen.«

Er setzt sich in den Stuhl vor meinem Tisch und ich lehne mich nach hinten.

»Ja, das alles ist komisch. Was soll der Zettel mit dem Igel-Hinweis? Warum wurde Sabrina so ausgestellt? Ich verstehe das nicht«, fängt Ray an. Ich nicke schwach.

»Wäre tragisch, wenn wir einen Psychopathen verstehen könnten.«

»Aber wie sollen wir die eine Person festnehmen, wenn wir gar nichts wissen und keinen Anhaltspunkt haben?«

Ich zucke mit den Schultern und hebe meine Hände begleitend dazu hoch.

»Ich habe mit Melo noch etwas intensiver geredet und er hat erklärt, dass der Oberschenkelknochen brutal herausgeschnitten und mit einem herumliegenden Hammer zertrümmert wurde«, erzählt Ray, als es zu still wurde.

»Mit der einen Säge?«, hinterfrage ich und merke, dass es ein Unwohlsein in mir auslöst, wenn ich an Sabrinas Leiche denke. Ich habe mir die Wunde nicht eingehend angesehen, aber so aufgerissen wie es war, kann ich mir vorstellen, dass da die Säbelzahnsäge noch drin war.

Ray nickt: »Trotzdem. Melo meinte, so einfach ist das gar nicht und die Wunde war jetzt nicht extrem aufgerissen. Also hat unser Mörder eine äußerst ruhige Hand oder ist handwerklich geschickt.«

»Beruflich? Hobby? Wer weiß in welchem Kontext. Mit dem Igel-Zettel ist es dann wieder total widersprüchlich.«

»Unser Team hat recherchiert und herausgefunden, dass wenige Tage vor dem Mord im Radio ein Bericht dazu ausgestrahlt wurde. Dieser hat genau das thematisiert: Ein Igel wird nicht besonders alt, aber laut einer Forschung wurde ein Igel mit 7 Jahren entdeckt«, spricht er und lehnt sich langsam vor. Dabei lugt er in meinen PC und schiebt hinterher: »Wir sollten die Freundin empfangen. Das könnte interessant werden.«

Ich nicke, sperre den Bildschirm, trinke ein paar Schlucke aus meinem Kaffee und stehe auf.

 

»Guten Tag, Frau Steffen. Vielen Dank, dass Sie heute hier sind. Ich weiß, dass es schwer ist, aber die Zusammenarbeit ist wichtig, um den Fall aufzuklären. Deshalb bedanke ich mich schon einmal für Ihr Erscheinen.«

Ich reiche ihr meine Hand, die sie annimmt und kräftig schüttelt. Lisa Steffen ist etwas kleiner als ich, dafür deutlich kräftiger, ohne sie als dick zu bezeichnen. Ihr braunes, langes Haar sieht etwas fettig aus und ihr Auftreten wirkt mehr als betroffen.

Sie reicht auch Ray die Hand, der sich, abgesehen von der Begrüßung, eher zurückhält.

»Hallo. Danke für die Einladung. Klar, ich bin hier, um zu helfen. Sabrinas Tod hat mich wirklich getroffen und ich will unbedingt herausfinden, wer dafür verantwortlich ist«, bestätigt sie mir meinen Eindruck. Wir setzen uns und ich fange direkt an:

»Wie war das Verhältnis zu Sabrina, wie lange waren sie miteinander befreundet?«

»Sabrina und ich waren seit unserer Ausbildungszeit beste Freundinnen. Wir haben vieles miteinander erlebt und standen uns recht nahe. Leider änderte sich das.«

»Was hat sich geändert?«

Sie seufzt, sieht kurz weg und wendet sich dann wieder uns zu, »Sabrina lernte Moritz, ihren Freund, kennen, der sich immer mehr einmischte. Anfangs waren es nur beiläufige Kommentare, aber dann wurde es intensiver. Moritz begann eifersüchtig zu werden und behauptete, dass ich versuchte, Sabrina von ihm wegzunehmen. Er war auch extrem kontrollierend und hat sie gefühlt dauernd gestalkt. Mich würde es nicht wundern, wenn er Sabrina in seinem Wahn selbst umgebracht hat.«

 

Ich werde hellhörig und tausche Blicke mit Ray aus, gleichzeitig freue ich mich innerlich, weil er durch Frau Steffens angeklagt werden könnte, wegen Stalking und Co.

Zumindest, wenn die Mordanschuldigungen haltlos sind.

 

»Das klingt furchtbar. Haben Sie Sabrina damit konfrontiert? Meinen Sie wirklich, er wäre zu so etwas fähig?«, fühle ich weiter nach.

»Klar! Ich habe Sabrina mit meinen Bedenken und Sorgen konfrontiert. Ich wollte ehrlich zu ihr sein und ihr erklären, wie sehr mich das Verhalten von Moritz belastet. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, mit ihr darüber zu sprechen, reagierte sie defensiv und schien die Probleme nicht zu sehen. Sie sagte, dass er nur unsicher sei und dass ich ihm eine Chance geben solle«, sie pausiert, streicht sich über ihr Gesicht und seufzt erneut.

»Es war frustrierend, weil ich das Gefühl hatte, dass Sabrina meine Besorgnis nicht ernst nimmt.«

 

»Warum hat sie Sie nicht ernst genommen?« 

»Sie war total verliebt in Moritz und hat seine schlechten Seiten einfach ausgeblendet. Sie dachte wahrscheinlich, dass er sich beruhigen würde, je länger die Beziehung dauerte. Das war scheiße für mich, weil ich nicht verstehen konnte, warum sie nicht erkannte, wie toxisch diese Beziehung für sie war.«

 

»Meinen Sie, Moritz könnte Sabrina umgebracht haben?«, frage ich noch einmal konkreter und beobachte ihre Reaktion.

»Moritz war schon echt komisch drauf und hat mich sogar bedroht und kurzzeitig gestalkt. Es wäre nicht gerade überraschend, wenn er in irgendeiner Weise mit Sabrinas Tod zu tun hätte. Aber ich will natürlich nichts Falsches behaupten, ich bin ja keine Ermittlerin.«

Sie sagte das gerade heraus, ohne überlegen zu müssen, als würde die Wut über alles, was war, endlich Luft finden.

 

»Er hat Sie bedroht?«

»Na ja, jetzt nicht so direkt«, rudert sie zurück. »Aber er hat deutlich gemacht, dass er mir schaden würde, wenn ich mich weiterhin in seine Beziehung mit Sabrina einmische. Manchmal kamen sogar unheimliche Nachrichten von ihm. Es war wirklich beängstigend ...«

 

»Warum haben Sie sich dann schlussendlich von Sabrina entfernt?«

»Der ausschlaggebende Punkt war, wie sie sich verhalten hat. Sie hat mir alles unterstellt, Eifersucht, Lügen, dass ich mir das ausdenke. Es fühlte sich an, als ob sie mir nicht mehr vertraute und mich für die Probleme in ihrer Beziehung verantwortlich machte. Es war ätzend, denn ich hatte gehofft, dass sie die Bedrohungen, die ich erhalten habe, ernst nehmen würde.«

 

»Warum haben Sie ihr nicht die Nachrichten gezeigt?«

»Das habe ich!«, fährt sie aus ihrer Haut und reißt die Arme hoch.

»Aber sie hat es kaum angeschaut und beim nächsten Mal hat sie mir unterstellt, ich würde das fälschen, um die Beziehung zu ruinieren. Wenn man das oft genug hört, will man nicht mehr. Und zum Schluss, hat sie mir direkt gesagt, ich solle nicht mehr kommen.«

 

Ich verziehe mein Gesicht. Sowas ist schlimm.

»Haben Sie Herr Knud nicht angezeigt, wegen Stalking?«, mischt sich Ray plötzlich ein.

Sie schüttelt den Kopf und wirkt traurig.

»Nein. Ich war verletzt und sauer. Ich wollte nichts mehr zu tun haben mit beiden und …«, sie zögert, »aus den Augen aus dem Sinn. In meinem Leben hat sich dann auch einiges verändert. Ich bin umgezogen, habe einen neuen Job bekommen und musste mich zurechtfinden.«

 

»Hat Sabrina sich nochmal gemeldet bei Ihnen, irgendwann?«

Sie schüttelt den Kopf, »Nein.« 

»Wobei …«, sie zieht ihr Handy aus der Tasche, »vor ein paar Wochen habe ich einen Anruf von einer Nummer bekommen, die ich nicht kenne. Vielleicht war sie das?«

Ich bitte um das Handy, notiere die Nummer und gebe den Zettel Ray. Dieser hechtet förmlich raus und lässt es überprüfen. Keine zwei Minuten später ist er wieder im Zimmer: »Ja, das ist die Nummer von Sabrina.« 

»Oh nein«, wird sie traurig und senkt ihren Blick. »Was, wenn sie mich gebraucht hat?«

»Vielleicht hätte ich das alles verhindern können.« Sie seufzt, schluchzt und Tränen laufen ihr über die Wange. Ray stellt eine Box mit Taschentüchern auf den Tisch und sie greift gleich danach. »Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Der einzige, der dafür verantwortlich ist, ist der Täter.«

 

Kurz darauf beenden wir das Gespräch und ich begebe mich auf Recherche bezüglich Moritz Knud.

*Ding* 

 

Ich schaue auf mein Handy, Erinnerung: Jugger-Turnier Sonntag. Ich schiebe es weg und suche weiter nach Anhaltspunkten, Alibis, Zeitabläufen und so weiter.